Interview
- Die wilden Seiten der Charlotte Gainsbourg – Von Peter Beddies, Berliner Morgenpost, Montag, 28. Juni 2010
Sängerin, Schauspielerin – und Tochter des legendären Duos Jane Birkin und Serge Gainsbourg. In der Berliner Volksbühne singt sie und stellt ihr aktuelles Album « IRM » vor. Mit Morgenpost Online sprach Charlotte Gainsbourg über kreative Schübe und Papas Schatten.
Charlotte Gainsbourg, Jahrgang 1971, stieg früh in die Fußstapfen ihrer Eltern Jane Birkin und Serge Gainsbourg. Seit ihrem 12. Lebensjahr steht sie vor der Kamera. Zu ihren bekanntesten Filmen zählen « Die kleine Diebin », « Der Zementgarten », die Bob-Dylan-Fantasie « I’m Not There » und der umstrittene, aber vielfach preisgekrönte Film von Lars von Trier, « Antichrist ». Daneben tritt sie auch als Musikerin auf. Im Januar erschien ihr bislang letztes Album « IRM »
Foto: Warner Music Group
Charlotte Gainsbourg, Jahrgang 1971, stieg früh in die Fußstapfen ihrer Eltern Jane Birkin und Serge Gainsbourg. Seit ihrem 12. Lebensjahr steht sie vor der Kamera. Zu ihren bekanntesten Filmen zählen « Die kleine Diebin », « Der Zementgarten », die Bob-Dylan-Fantasie « I’m Not There » und der umstrittene, aber vielfach preisgekrönte Film von Lars von Trier, « Antichrist ». Daneben tritt sie auch als Musikerin auf. Im Januar erschien ihr bislang letztes Album « IRM »
Berühmte Eltern haben viele Menschen. Wenn sie Serge Gainsbourg und Jane Birkin heißen, ist das aber sicher noch mal etwas Anderes. Man muss ganz bestimmt nicht in deren Fußstapfen treten und ebenfalls Sänger und Schauspieler werden. Bei Charlotte Gainsbourg scheint aber nichts anderes in Frage gekommen zu sein. Bereits mit 12 war sie auf Empfehlung der Mutter in ersten Filmen zu sehen. Mit 15 sorgte sie an der Seite des Vaters für einen ersten Film-Skandal – im Inzestdrama „Charlotte for Ever“. Mittlerweile war sie in über 30 Kinofilmen zu sehen, hat zwei sehr erfolgreiche CDs veröffentlicht. Am Montagabend stellt sie in der Berliner Volksbühne ihr aktuelles Album „IRM“ vor.
Morgenpost Online: Können Sie sich an ein Interview erinnern, in dem Sie nicht zu Ihren Eltern befragt wurden?
Charlotte Gainsbourg: Nein, das hat es noch nie gegeben. Egal, ob ich als Musikerin oder Schauspielerin befragt werde, mindestens eine Frage zu meiner Familie kommt jedes Mal. Zu meiner Mutter weniger. Aber zu meinem Vater immer. Immer wieder kommen die Fragen. Und ich weiß immer weniger, was ich antworten soll.
Morgenpost Online: Einige Ihrer Kollegen machen es so, dass sie Standardantworten haben, die sie dann abspulen.
Charlotte Gainsbourg: Sehen Sie, das ist der Unterschied. Ich kann das nicht. Das habe ich noch nie gekonnt. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht lügen kann. Keine Ahnung, woher das kommt. Ich habe es oft genug probiert. Funktioniert nicht.
Morgenpost Online: Ich kann mich an ein Berlinale-Interview mit Ihnen erinnern, vielleicht zehn Jahre her, als man uns Journalisten bat, Ihnen keine Fragen zu Ihrem Vater zu stellen. Dann begannen Sie von sich aus zu erzählen. Die Sätze blieben aber alle unvollendet.
Charlotte Gainsbourg: Interessant, dass Sie das sagen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich so gut wie gar nicht mehr in Interviews über meinen Vater spreche. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Da ist immer noch dieser Schmerz, der sehr tief sitzt. Also versuche ich – oder habe es früher versucht – Gedanken zu finden, die dem Chaos in meinem Kopf entsprechen. Die blieben dann irgendwie in der Mitte des Raumes, wenn ich sie ausgesprochen hatte, hängen. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie zu Ende bringen könnte.
Morgenpost Online: In Interviews haben sich die Gedanken aber immer wie fertig gedacht gelesen.
Charlotte Gainsbourg: Ha! Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an! Eigentlich sollte ich nie wieder Interviews geben. Es ist mir zu oft passiert, dass ich halbfertige Gedanken vom Journalisten fertig gedacht gelesen habe. Man versucht, aus meinem inneren Chaos einen lesbaren Text zu machen. Das ist lieb gemeint. Aber so geht es nicht. Haben Sie mit meiner Mutter schon mal über das Thema Gainsbourg gesprochen?
Morgenpost Online: Ja, einmal habe ich sie darauf angesprochen. Und werde es sicher nie wieder tun.
Charlotte Gainsbourg: Wieso? Ist sie böse geworden?
Morgenpost Online: Nein, aber ich hatte kaum noch Gelegenheit, über etwas anderes zu sprechen. Wir sollten in Cannes eigentlich über ihren Film „The Box“ sprechen. Ich fragte etwas über Serge Gainsbourg und sie hat 17 Minuten am Stück geredet.
Charlotte Gainsbourg: Jetzt wissen Sie auch, warum ich eher der ruhige Typ bin. Das hat sicher auch etwas mit einer Veranlagung zu tun. Aber wenn man so aufwächst und von der Mutter selbst bei einfachen Fragen wunderbare Gedankenausflüge geschenkt bekommt, dann wird man selbst sehr ruhig.
Morgenpost Online: Haben Sie das Gefühl, das Sie auf der Bühne, wenn Sie Ihre Lieder singen, ein anderer Typ werden? Vielleicht eine wilde Seite ausleben können?
Charlotte Gainsbourg: Nein, diese wilden Seiten kann ich – dank Lars von Trier und anderer großer Regisseure – schon beim Film ausleben. Ich wundere mich manchmal selber, dass es Menschen gibt, die zum einen Geld ausgeben, um meine Musik zu kaufen, und zum anderen, Tickets für Konzerte mit mir lösen. Es ist wahrhaft nicht spektakulär, was ich auf der Bühne mache. Ich habe jedes Mal das Gefühl, dass man mich dieses Mal sicher ausbuhen wird. Was zum Glück dann nicht passiert. Das Schöne an den Auftritten und wahrscheinlich der einzige Grund für mich, das hin und wieder zu tun, ist eigentlich, dass ich da versuchen kann, eine neue Seite an mir zu entdecken und daran zu arbeiten.
Morgenpost Online: Woher kommt dieses Gefühl des ständigen Scheiternkönnens?
Charlotte Gainsbourg: Keine Ahnung, vielleicht von meinen Eltern, dass ich mich ständig mit ihnen messe. Dass ich immer denke, ich wäre nicht so gut wie sie. Vielleicht sollte ich das mal mit einem Psychologen besprechen. Vielleicht aber ist genau das der Grund, was Menschen an meiner Musik und meiner Darbietung auf der Bühne mögen.
Morgenpost Online: Wo arbeiten Sie am liebsten an Ihrer Musik? Ihren letzten Film „The Tree“ haben Sie im australischen Nirgendwo gedreht. War das ein perfekter Platz, um Neues entstehen zu lassen?
Charlotte Gainsbourg: Da liegt – glaube ich – ein Missverständnis vor. Zum einen bin nie ich diejenige, die kreativ wird. Kreativ werde ich nur, wenn mich jemand dazu zwingt. Also, wenn Lars von Trier kommt und fragt, ob ich mir nicht den Sommer freihalten könnte, weil er da seinen neuen Film „Melancholia“ drehen will, da sage ich natürlich zu. Oder wenn Beck mich fragt, ob wir nicht ein Album machen wollen, oder wenn mich die Jungs von Air fragen. Dann bin ich gern bereit, mich selbst einzubringen.
Morgenpost Online: Haben Sie nie versucht, selbst Musik zu schreiben?
Charlotte Gainsbourg: Dafür habe ich zuviel Respekt vor großer Musik. Ich habe noch nie die Notwendigkeit gesehen, in diesem Bereich tätig werden zu müssen.
Morgenpost Online: Liegt auch da der übermächtige Schatten des Vaters?
Charlotte Gainsbourg: Na klar. Er hat so tolle Musik geschaffen. Und er war seiner Zeit in vielem so weit voraus, dass man nur staunen kann. Man wird seine Musik auch noch in vielen Jahren hören. Und sie wird nicht alt klingen.
Morgenpost Online: Kommen Sie manchmal in Versuchung, auf der Bühne Lieder Ihres Vaters zu singen?
Charlotte Gainsbourg: Lassen Sie es mich so sagen: Ich könnte es auf Anhieb tun. Ich höre seine Musik zwar nur sehr selten. Aber sie ist in mir sehr präsent. Keine Ahnung, was passieren würde, wenn ich ein Lied von ihm singen würde. Würde sich die Erde auftun und mich verschlingen? Würde ich zusammenbrechen? Ich werde es eines Tages sicher versuchen. Mal sehen, wann ich dazu bereit sein werde.
Morgenpost Online: Ich war überrascht, als es hieß, Sie würden Ihren Vater im Kinofilm „Gainsbourg“ spielen. War das nur ein Gerücht?
Charlotte Gainsbourg: Nein, das war mehr. Der Regisseur Joann Sfar hatte mir angeboten, meinen Vater zu spielen. Wir sprachen über die Rechte an seinen Liedern, die er für diese Filmbiografie braucht. Und mitten im Gespräch meinte er: „Ach so, ich würde gern, dass Du Deinen Vater spielst. Willst Du?“.
Morgenpost Online: Es hieß auch, Sie hätten den Vorschlag gemacht, ihn spielen zu wollen.
Charlotte Gainsbourg: Was für eine Frechheit! Das ist wirklich nur ein blödes Gerücht. Ich würde nie von mir aus auf die Idee kommen. Aber als ich gefragt wurde, hatte ich eine ganze Weile überlegt. Aber nach ein paar Monaten des Überlegens habe ich dann doch abgesagt.
Morgenpost Online: Stattdessen machen Sie jetzt etwas, das selten jemand gewagt hat: Sie drehen nach „Antichrist“, für den Sie im letzten Jahr in Cannes den Darstellerpreis bekommen haben, wieder mit Lars von Trier.
Charlotte Gainsbourg: Ja. Aber ich habe ordentlich Angst vor diesem zweiten Mal.
Morgenpost Online: Warum? Sie haben es, oder besser gesagt: ihn, doch schon einmal überlebt.
Charlotte Gainsbourg: Richtig. Und es war ebenso anstrengend wie – im Nachhinein betrachtet – wunderbar. So gefordert zu werden und dabei zu sein, wie radikale Kunst entsteht. Das war großartig. Aber können wir das mit „Melancholia“ wiederholen? Wird die Atmosphäre am Set wieder so toll und anstrengend sein? Ich bin sehr gespannt und habe große Angst.
Morgenpost Online: Könnten Sie uns jetzt schon erzählen, worum es in „Melancholia“ geht?
Charlotte Gainsbourg: Aber sicher. Dann würde es Lars von Trier zu Ohren kommen. Er würde mich feuern und nie wieder ein Wort mit mir reden. Nein, ich werde schweigen. Warten Sie noch ein paar Monate ab. Für das nächste Jahr kann ich Ihnen eine große Überraschung versprechen.
Das Konzert in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte. Tel.: (030) 24065777. Am 28. Juni 2010, 20 Uhr.
Review
- Charlotte Gainsbourg @ Berlin – Volksbühne Berlin – Von roteraupe.de/ 28.06.2010
Die Erbin der Swinging Sixties.
Wenn es eine Frau gibt, die heute in der Blüte ihres künstlerischen Schaffens steht und alle popkulturellen Träume der sechziger Jahre verkörpert, dann ist es Charlotte Gainsbourg. Ihr Vater Serge Gainsbourg war der größte Songwriter, den Frankreich je hervorbrachte, und ein ebenso veritabler Womanzier. Ihre Mutter Jane Birkin die schönste und verführerischste Schauspielerin der Swinging Sixties.
Der Auftritt in der Berliner Volksbühne, das letzte der beiden Deutschland-Konzerten von Charlotte Gainsbourg, ist eine Rarität. Schließlich scheut die 38-Jährige Liveauftritte seit Jahren. Gainsbourgs Schüchternheit ist keine aufgesetzte Attitüde, sondern Charakterzug. Sie steht dennoch auf der Bühne – aus einem inneren Drang. Ihre Performance fordert keine Anbetung ein, sondern ein Miterleben der Schönheit der Musik. Die fragile Schauspielerin trägt an diesem Abend eine schwarze Lederhose, ein weißes T-Shirt und eine schwarze Weste, an der Fransen hängen, und schwarze Bikerboots. Ihre Haare trägt sie wie ihre Mutter früher. Ansagen bleiben kurz und bündig, mit Ausnahme der herzlichen Vorstellung der fünfköpfigen Band.
Charlotte Gainsbourg
Aggressiv-fordernd und sehr präsent starten Gainsbourg und Band mit dem Song « IRM » vom gleichnamigen neuen Album. Das Set besteht zum Großteil aus den Liedern dieser Platte, der zweiten nach Gainsbourgs erstem Album « 5.55 » aus dem Jahr 2006. Fast alle Lieder des neuen Albums hat Beck Hansen für sie geschrieben und mit « Heaven can wait », den das Volksbühnen-Publikum mit viel Beifall goutiert, einen chartstauglichen Popsong abgeliefert. Die Schauspielerin und Sängerin wagt sich bei dieser Tour auch an die geliebten Stücke ihres Vaters und singt französisch. Der besinnlichste Moment ist dann aber doch das Cover eines anderen: Bob Dylans « Just like a woman », dessen Frau Sara Gainsbourg im Dylan-Biopic « I’m not there » spielte, gelingt ihr grandios und klingt wesentlich sexier als im Original.
Ihr Blick ist während des ganzen Konzerts nach unten gerichtet. In ihrer Musik scheint sie völlig bei sich zu sein. Die Scheinwerfer leuchten nie hell und gleißend – sie schützen, statt bloßzustellen. Gainsbourg ist geborgen in einer Aura des Unwirklichen, des Entrückten, des Traumwandlerischen. Man ist für einen Moment verwundert, wie diese schlanke und fragile Person ihre Rolle in Lars von Triers « Antichrist » spielen konnte. Und im nächsten Moment erscheint es einem völlig normal, weil Gainsbourg eben eine Künstlerin ist, die bereit ist, sehr weit für ihre Kunst zu gehen und sich ihr schutzlos ausliefert.
Charlotte Gainsbourg
Das Finale des Konzerts ist dann die Verbeugung vor ihrem Vater, von dessen Repertoire, wie sie mit ihrer mädchenhaften Stimme ins Mikrofon haucht, sie sich (mittlerweile) sehr gern bedient. Der Abend endet mit « Couleur Café »: lebensbejahend und gelöst von jeglicher Melancholie. Merci Charlotte, dass du deine Schüchternheit für diesen Abend überwunden hast!